Alles wird teurer, überall wird gestreikt

Meinungsbeitrag von Hauke Hell

Gerade heute dürften viele von den Streiks im Verkehrswesen betroffen sein. Da kann man sich schon einmal die Frage stellen, ob das sein muss und ob es überhaupt sinnvoll ist. Für den heutigen Großstreik will ich das gar nicht abschließend bewerten, ich habe mich nicht wirklich mit der Tarifsituation im Verkehrsbereich beschäftigt. Allerdings kann ich gut verstehen, wenn Menschen von ihrer Arbeit weiterhin leben können möchten und nicht nur überleben.

Die Preissteigerungen – Inflation 7,9 % allein in 2022 – sind ja kaum zu übersehen und es ist ganz klar, dass eine Tariferhöhung von 5 % dafür nicht reicht, erst recht nicht, wenn sie eine längere Laufzeit haben sollte. Denn auch, wenn sich die Inflation schon wieder abschwächt, aufhören tut sie nicht (und sollte sie wohl in einer wachstums-orientierten Wirtschaft auch nicht einfach so).

Tatsächlich bewundere ich Betriebe, wo die Mitarbeiter so gut organisiert sind, dass sie mit Streiks bessere Abschlüsse erzwingen können! Denn von allein kommen diese nicht, das zeigt die Erfahrung bei Gruner + Jahr, wo viele Mitarbeiter viele Jahre gar keine erwähnenswerten Gehaltserhöhungen bekamen. Ich erinnere mich an eine Einmalzahlung von 500 €, mehr muss man dazu ja schon gar nicht mehr sagen… (Etwa da wurde mir auch klar, dass ich in die Gewerkschaft eintreten musste, um etwas zu ändern.)

Aber was ist mit der gefährlichen Lohn-Preis-Spirale? Eine solche droht ja, wenn breite Lohnerhöhungen zu steigenden Kosten führen und diese wiederum zu höheren Preisen führen, was weitere Lohnerhöhungen notwendig macht. Das ist sicherlich eine ernst zu nehmende Gefahr, aber leider (!) sind wir in Deutschland weit davon entfernt. Viele, gerade kleinere Unternehmen können die Kostensteigerungen längst nicht vollständig in ihren Preisen abbilden und Tarifabschlüsse blieben zuletzt – soweit ich das mitbekommen habe – überall unterhalb der Kostensteigerungen.

Außerdem sind die Reallöhne der meisten abhängig Beschäftigten seit vielen Jahren gesunken, die Einkommens-Schere öffnet sich immer weiter und auch renommierte Wissenschaftler warnen vor den Folgen dieser Entwicklung auch für die Volkswirtschaft. Es würde also eigentlich Zeit, die Einkommen sogar über die Inflation hinaus zu erhöhen.

Schöne wäre es, wenn das ohne Streiks ginge. Aber erfahrungsgemäß klappt das nicht ohne starke, streikfähige Gewerkschaften. Und eine Gewerkschaft ist immer so stark wie ihre Mitglieder.

Lesenswert dazu:

Durch Ungleichheiten der Einkommensverteilung konzentriert sich das Volkseinkommen auf kleinere, bereits hinreichend saturierte (gesättigte) Bevölkerungsgruppen. Daher kann die Entwicklungsdynamik von Volkswirtschaften beeinträchtigt werden, da die Nachfrage nach Gütern und Leistungen engen Konsumstrukturen folgt und geringer ausfällt. […] Ferner schränken Einkommensungleichheiten sowohl Bildungschancen […] als auch die Mobilität der Bevölkerung ein. Wodurch wiederum eine Gefahr besteht, dass ein vorhandenes Potenzial an Humankapital ungenutzt bleibt bzw. ineffizient eingesetzt wird.

Bundeszentrale für politische Bildung